Ode an das Leid

(nach dem Kirchenlied “O Haupt voll Blut und Wunden” von Paul Gerhardt, 1607 – 1667)

 

Dich hat voll Blut und Wunden
voll Schmerz und voller Hohn
der Mob brutal geschunden,
nichts bleibt als der Klage Ton.
Der Mensch des Menschen höchste Zier,
wenn zwei sich lieben immerdar,
zerstört von der Männer Gier,
auf dieser Höllenfahrt.

Dein Schreck im Angesichte,
die Tat, sie schreit und scheut,
wo ist das Weltgerichte,
oder bleibst du so bespeit
in deinem Augenlicht,
das ohn’ Arg den Morgen schaut,
am Abend so schändlich zugericht.

Die Farbe deiner Wangen,
der roten Lippen Pracht,
sind bleich im Tod vergangen.
Von der Mörder Hand vollbracht
hat die Tat dahingerafft,
was den Mensch’ zu Menschen macht.

Die Qual, die du erduldet,
ist unser aller Last,
Wir haben mit verschuldet,
was du erlitten hast.
Wenn wir den Kindern nicht mehr geben,
bei uns und in der ganzen Welt,
den Wert für Ehr und Leben,
ist niemand, der die Zügel hält.

Wenn ich nur könnt, ich würd dich drücken
an mein Herz, bis der Schmerz zerschellt.
Sollte deinem Tod es glücken,
dass Moral sich aufrecht stellt,
werden Engel deine Stätte schmücken.

Dieser Gedichtext war als Beitrag für DIE ZEIT,
Rubrik “Zeit der Leser”, aus Anlass des schrecklichen Verbrechens
an der jungen Studentin in Indien gedacht (Januar 2013).
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