Über mich

19. Juni 1939      Geburt in Grevenbroich (NRW)
1950 bis 1957     Gymnasium Kempen, Niederrhein
1957 bis 1966     Bundeswehr, zuletzt Olt
28. 12. 1959        Heirat mit Karola, geb. Küppers
13. 7. 1960          Geburt Sohn Rolf
19. 11. 1961        Geburt Tochter Petra
1962 bis 1963    Abendgymnasium Giessen, Abschluss Abitur
1966 bis 1970    Studium der Wirtschaftswissenschaften
1980                   Promotion zum Dr. rer. pol.
1970 bis 1997    Mitglied der Justus-Liebig-Universität, Giessen (zul. Regierungsdirektor)
14. 10. 1994       Heirat mit Marie Louise, geb.Wildhaber, mit Dani und Marcel
Seit 1997            Wohnhaft in Flums, Schweiz
Seit 2001           Pension

 


Meine schönste Geschichte

Ich hätte nie gedacht, dass ein Salat und ein Parkhaus das Leben so verändern können.
Den Salat ass ich gerade im Strassencafé von Karstadt Giessen. Das tat ich so gut wie jeden Mittag, wenn ich vom Uni-Hauptgebäude her kommend in der Fussgängerzone den Seltersweg hinaufschlenderte, um mir einen der wenigen Stühle mit Sonneneinstrahlung zu sichern. Sich dort für eine knappe Stunde niederzulassen, den Salat zu gabeln, die Sonnenwärme zu geniessen und vielleicht vorher noch schnell ein Buch aus dem modernen Antiquariat der Ferber’schen Buchhandlung direkt gegenüber zu erwischen, das hatte was, das war ein Stück Lebenslust, die mir diese Stadt sympathisch machte.
Wenn dann auch noch, wie jeden Tag, der so auffallend gut gescheitelte “Jesus-Mann”, der sein Banner “Jesus liebt dich” wie eine Standarte hoch über dem Kopf vor sich hertrug, aus dem unteren Teil des Selterswegs auftauchte, um exakt am Eingang von Karstadt kehrtzumachen und seine gottgefällige Demonstration wohl schon zum x-ten Mal an diesem Tag in umgekehrter Richtung fortzusetzen, dann war meine kleine Mittagspausenwelt in Ordnung.

Ich bestellte immer das selbe: den Salat in der durchsichtigen Plastikschale und einen Pfefferminztee. Kein Wunder, dass mich die Verkäuferinnen dort allesamt kannten und mich wohl auch deswegen besonders entgegenkommend bedienten. Halt, es gab auch einen Mann unter ihnen. Dafür war er allerdings auch der auffälligste. Er hatte eine, vorsichtig ausgedrückt, kräftige Statur, die eine unübersehbare, runde Bauchwölbung unter seiner weissen Schürze verbarg. Seinen mächtigen Schädel krönte eine spiegelblanke Glatze, die immer ein wenig schweissgebadet schien. Seine Freundlichkeit, wohltuend gepaart mit einer nie versiegenden Fröhlichkeit, wurde nur noch von seiner Geschwindigkeit übertroffen, mit der seine nicht abreissen wollende Kundenschar bediente. Auch seine Kolleginnen mochten ihn, das war zu spüren. Als er vierzig wurde, setzten sie ihm ein Inserat in die Zeitung: “Kaum zu glauben, aber wahr, unser lieber Chef wird vierzig Jahr…”.
Von ihm liess ich mir gerne die Schale füllen, schien sie mir dann doch immer etwas besonders gefüllt zu sein. Aber das konnte auch täuschen.

Es war der 13. Juli 1993. Ich sass, wie gesagt, im Karstadt-Strassencafé, besagte Schale Salat und Pfefferminztee vor mir auf dem Tisch, genoss die Sonneneinstrahlung eines milden Julitages, als etwas Unerwartetes geschah. Eine junge Frau, blond, schlank, gutaussehend, eilte im Stakkato mit kurzen schnellen Schritten den Seltersweg herauf – direkt auf mich zu, wie mir schien. Und dann trat ein, woran ich heute noch rätsele, wie es geschehen konnte. Einen einzigen, kaum wahrnehmbaren Augen-Blick trafen sich unsere Augen – es war, als fächere sich ein ganzes Leben vor mir auf – und schon war sie an mir vorbei.
Doch dann das Unerwartete: Mitten im schnellen Schritt hielt sie inne, machte kehrt und ging, ohne mich zu beachten, an mir vorbei in den Innenraum des Cafés und setzte sich an einen der runden Stehtische. Es mag Zufall gewesen sein, aber sie platzierte sich so, dass ich sie durch die offen stehende Tür sehen konnte. Sie bestellte einen Kaffee.

Ich dachte: Ich esse jetzt meinen Salat zu Ende. Wenn sie dann noch da sitzt, gehe ich hin und spreche sie an.

Und jetzt spielt das Parkhaus von Karstadt in die Geschichte hinein. Die junge Frau lebte in der Schweiz und war seit ihrer Kindheit in den Ferien zu Besuch bei Verwandten, die in einem nahegelegenen Dörfchen wohnten. Seit sie ein eigenes Auto besitze, stelle sie es immer im hauseigenen Parkhaus ab, das man nach wenigen Metern um die Ecke herum erreichte, erzählte sie mir später.
“Ich hatte es eilig und wollte so rasch wie möglich zum Auto zurück. Noch nie vorher habe ich mich in das Café gesetzt, noch nie, wenn ich vom Einkaufen zurück war”. Sie könne sich auch nicht erklären, warum sie ausgerechnet an jenem Tag urplötzlich ohne jeden Grund kehrt gemacht habe, um schnell noch auf einen Kaffee einzukehren. Das sei nicht üblich gewesen.

Wie erstarrt sass ich vor meinem Salat und würgte Blatt für Blatt hinunter. Eine ungewohnte Aufregung hatte mich erfasst.
Das letzte Grün verschwand in meinem Mund.
Sie sass noch da.
Mit wachsweichen Knien stand ich auf und ging die endlos lange Strecke zu ihrem Tisch. Wie macht man so was, ansprechen? Anfang fünfzig ist man schon etwas aus der Übung. Ich versuchte es auf intellektuelle Weise mit einem Wortspiel: “Geht es Ihnen auch so, dass wir uns nicht nur gesehen, sondern auch wahrgenommen haben?”
Es ging ihr auch so.
Sie hatte keine Zeit mehr, sie musste zurück in die Schweiz.
Wir verabredeten uns für einen Monat später in ihrem Heimatort in den Flumser Bergen.

Danach ging alles unglaublich schnell. Wir kannten uns kaum zwei Tage, da habe ich sie gefragt, ob sie sich vorstellen könne, dass wir heiraten.
Sie konnte es sich vorstellen.
Gut ein Jahr später heirateten wir.

Und dann begann eine Zeit, in der wieder Karstadt eine zentrale Rolle spielt. Vier Jahre lebten wir eine Wochenendehe. Vor jedem zweiten Wochenende suchte ich das Karstadt Reisebüro auf: Einmal Sargans hin und zurück, Nichtraucher, Grossraumwagen, Fensterplatz. Es wurde ein Ritual, das ich zu lieben begann. Nach jeder Fahrt war vor der Fahrt. So viele Ankünfte – aber auch so viele Abschiede!

Im Reisebüro bediente mich fast immer ein und dieselbe schwarzhaarige Serviceangestellte, der ich bald nichts mehr sagen brauchte, sie kannte meinen Spruch: Einmal Sargans hin und zurück, Nichtraucher, Grossraumwagen, Fensterplatz.
Als ich nach vier Jahren des vierzehntägigen Hin und Her in die Schweiz zog, verabschiedete ich mich mit Handschlag von der mir vertraut gewordenen Fahrkartenverkäuferin. Sie war sichtlich berührt.

Es dauerte weitere vier Jahre, bis ich zum ersten Mal wieder nach Giessen kam. Als ich wie in früheren Zeiten den Seltersweg hinauf schlenderte, begegnete mir als erstes mein Jesusheld. Er war schon etwas grau geworden, schwenkte aber unverdrossen sein “Jesus liebt dich”- Schild. Ich hätte ihn umarmen können. Vor Karstadt machte er kehrt und sah mich an. Es schien, als lächelte er.

Ich betrete mein Salatcafé. Es war kurz vor vier. Aus der hintersten Ecke kommend verströmt mein Johann ohne Haar immer noch seine gute Laune, bewegt sich, als er meiner ansichtig wird, sogleich mit seiner ganzen, etwas umfangreicher gewordenen Leibesfülle auf mich zu: “Sie sind aber spät dran heute” sagt er und lacht mich mit breitem Grinsen an, dass es die Mundwinkel fast bis zu den Ohren zieht. “Das kann man wohl sagen”, antworte ich, und fühle einen Hauch von Wiederheimgekommen sein.

Marlies und ich heirateten am 14. Oktober 1994. Am 13. Juli 2013 feiern wir die zwanzigste Wiederkehr dieses, im wahrsten Sinne des Wortes wunderbaren Augen-Blicks.

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